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  • Große Marmorata aus der Etsch
  • Seeforelle auf Mozzi Blinker
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  • Faszination Angeln
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Die Kannibalin

Etsch im Vinschgau

Ich hatte das seltene Glück, bereits seit Kindesbeinen an, meinen Vater bei der Fischerei in diversen Gewässern des oberen Vinschgaus begleiten zu dürfen und von ihm Schritt für Schritt an die Fischerei herangeführt zu werden. Ein Erlebnis ist mir dabei ganz besonders in Erinnerung geblieben.

Die Fischerei vor 40 Jahren

Damals, vor rund vierzig Jahren, waren des Fischers Zeiten noch anders und mit der heutigen Fischerei kaum vergleichbar. Mit leichter Wehmut denke ich an die längst vergangenen, guten (Angel)Tage unserer Fischerei zurück und trotzdem mit dankbarer Erinnerung, an diese prägenden Erlebnisse meiner Kindheit. Abgesehen davon, dass die Fischerei in der Etsch jeweils am 1. Jänner eröffnet wurde, und pro Fischgang noch 10 Forellen erbeutet werden durften, waren auch die Umweltbedingungen und die Gewässerqualität für unsere beschuppten Freunde um Einiges besser als sie heutzutage sind. In den zahlreichen Kanälen und Oberflächentümpeln im Einzugsgebiet der noch jungen Etsch im oberen Vinschgau tummelten sich noch in unwahrscheinlich großer Anzahl verschiedene Kleinfischarten, von denen heute ein Großteil im Begriff ist für immer aus ihrem Verbreitungsgebiet zu verschwinden. So war es eine Selbstverständlichkeit Elritzen, Bachschmerlen, Mühlkoppen und die heimlichen Bachneunaugen zu beobachten, und in gesichertem Vorkommen in den kleinen „Lebensadern“ der Etsch zu wissen.

Köderfischfang

In diesen Zeiten war es üblich, den damals auch noch zur Genüge vorkommenden großen Marmorierten Forellen mit dem natürlichen Köderfisch am Bleikopfsystem nachzustellen. Das Fischen mit der „Schluckangel“ und dem Regenwurm auf die Salmoniden der Fließgewässer war schon damals bei meinem Vater, obwohl erlaubt, verpönt und nicht gern gesehen. Die Fischgänge meines Vaters begannen meistens damit, dass zu allererst einmal eine „Handvoll“ passender Köderfische gefangen wurden. Die Köderfische wurden mit einer eher unkonventionellen Methode erbeutet: Durch einem Schlenzer mit dem Gummistiefel wurden aus einem der Etsch nahen Tümpel einige Elritzen, Bachschmerlen und Mühlkoppen samt dem Unterwasserkraut, in welchem sie sich versteckt hielten, ans Ufer befördert. Meine Aufgabe bestand darin, die von meinem Vater auserwählten Köderfische aufzusammeln, rasch zu töten und die restlichen Fischlein wieder schonend in ihren Tümpel zurück zu setzen. Die fünf Köderfische, die wir entnahmen, mussten für einen Fischgang ausreichen. Eine Koppe, eine Bachschmerle und drei große Elritzen sollten es für jenen Fischgang sein.

Pirsch auf einen bekannten Standfisch

Mein Vater köderte die große Koppe fachgerecht am Bleikopfsystem an und überprüfte noch einmal die Beschaffenheit des großen Schwanzdrillings. Nun begann die eigentliche und für mich als Begleiter sehnsüchtig erwartete Fischerei. Meter für Meter arbeiteten wir uns im dichten Ufergebüsch voran und mein Vater tupfte mit dem Köderfisch am Bleikopfsystem die Bodennähe großer und tiefer Gumpen der Etsch ab. Dabei imitierte er mit seinen Rutenbewegungen in Perfektion die kurzen, sprunghaften Schwimmbewegungen der Mühlkoppen knapp über dem Grund nach. Die typischen Einstände der Forellen waren damals die strömungsbrechenden Kolke im Uferbereich, welche durch die noch zahlreich ins Wasser ragenden Erlen und Kopfweiden und deren Wurzelstöcke gebildet wurden. So recht zufrieden schien mein Vater noch nicht zu sein, obwohl wir an jenem Nachmittag auch die eine und andere mitnehmenswerte Bachforelle erbeuteten, welche fachgerecht getötet und im Rucksack versorgt wurde. Schließlich kamen wir an eine alte, halbverfallene schmale Holzbrücke, die uns immer in wackeligem Gang über die Etsch führte. Mein Vater schärfte mir nochmals genau ein, hinter ihm zu gehen, und nicht, wie ich es oft in meinem kindlichen Übermut pflegte, vor ihm zu rennen, sodass alle Flossenträger gewarnt waren und Reißaus nahmen. Er erklärte mir, dass da an der anderen Uferseite am oberen Teil der Brücke eine gut kiloschwere Marmorierte stehen müsste, die er bereits beim vorhergehenden Fischgang kurz im Drill gehabt hatte. Langsam bewegten wir uns zum besagten Teil der Brücke vor, bis mir mein Vater die Anweisung gab stehen zu bleiben und mich nicht vom Fleck zu rühren. An der oberen Seite stand genau unter der Brücke eine ungefähr 50 cm lange Forelle. „Das ist sie“, flüsterte mir mein Vater zu. Über das wackelige Brückengeländer spähte ich in das grünliche Wasser der Etsch und beobachtete, wie mein Vater den Köderfisch langsam vor der Forelle ins Wasser senkte und diesen zu „tupfen“ begann. Ich sah, wie die Forelle merkbar unruhig wurde, mit den Brustflossen nervös zu fächern begann und schließlich einen halben Meter nach vorne schwamm und die Koppe am System in ihrem Maul verschwand. „Hängt“, kommentierte mein Vater trocken, nachdem er einen fachgerechten Anhieb gesetzt hatte. Die Forelle begann sich in ihren typischen Bewegungen zu wehren, indem sie an die Oberfläche kam und sich dort drehte und wälzte um das lästige „Dingsda“ im Maul loszuwerden.

Die Kannibalin

Was nun geschah prägte sich für immer bei mir ein und noch heute, nach über vierzig Jahren, sehe ich diese Minuten in bildhafter Weise vor mir, als wäre es erst gestern gewesen. Plötzlich schoss, einem Torpedo ähnlich, von der Flussmitte her, ein dunkelbraun/gelb gescheckter, riesiger Fisch, gut zweimal so lang, wie die am Haken hängende Forelle. Es war eine jener legendären, heimlichen und sagenhaften großen “Etschforellen“, welche es damals auch noch in unserem Bereich der Etsch im oberen Vinschgau gab. Sie war offensichtlich in der Flussmitte gerade auf einem ihrer Raubzüge unterwegs und was kam ihr gelegener als Beute, als diese am Haken zappelnde Forelle, welche ganz offensichtlich nicht von der Stelle kam. Ein gefundenes Fressen und eine sichere Beute. Der Räuber mit dem breiten Schädel und riesigen Maul stürzte sich raublüstern und blind vor Gier mit gespreizten Kiemendeckeln auf die Forelle, welche an der Angelrute meines Vaters hing. Diese versuchte sich mit einem verzweifelten Sprung aus dem Wasser vor dem Zugriff der großen Kannibalin zu retten. Noch in der Luft schüttelte sie sich reflexartig, kam vom Haken frei, plumpste in die Etsch zurück und stiebte in einer wilden Flucht flussabwärts davon. Sekundenbruchteile später klatschte die Koppe am Bleikopfsystem an die Wasseroberfläche und wurde sofort von der riesigen Marmorierten attackiert und voll genommen. Der Zugriff erfolgte so heftig und überraschend, dass ein Anhieb sich erübrigte. Der Riese war gehakt und stellte sich quer in die Strömung und ließ sich von dieser flussabwärts mitnehmen. Die Angelrute meines Vaters begann sich unter diesem Zug beängstigend durchzubiegen und die Bremse der Angelrolle begann zu ratschen und gab langsam und ächzend Schnur frei. Mein Vater war machtlos gegen die Zugkraft des Fisches durch den zusätzlichen Druck in der Strömung. Zu allem Unglück stand er noch auf der oberen Seite der Brücke und konnte der Flucht des Fisches unter die Brücke nicht folgen. Ich begab mich an den unteren Teil des Geländers und konnte noch beobachten, wie die große Forelle an die Oberfläche kam, sich langsam zu drehen begann, sich schließlich mit wuchtigen Kopfschlägen vom Angelhaken befreite und langsam mit der Strömung flussabwärts schwamm, bis sie, als dunkler Fleck unserer Sicht entschwand.

Fassungslos holte mein Vater sein System mit der noch dranhängenden Koppe ein. Zwei Flunken des großen Schwanzdrillings waren buchstäblich geradegebogen. Traurig kommentierte mein Vater: „Das wär' sie gewesen, die kapitale Etschforelle, der Fang des Lebens“. Und dennoch war er froh darüber, dass dieser herrliche Fisch auf diese Art und Weise den Kampf gegen ihn als Fischer auf diese Weise entschieden hat und nicht in Folge eines Schnurbruchs mit einem System samt Drillingshaken im Schlund womöglich verludert und elendiglich verendet wäre.

Wir haben sie in der Folge nie mehr zu Gesicht bekommen, die Kannibalin, unsere ganz spezielle Freundin, obwohl sie in der Folge noch einige Jahre da zu sein schien, was die zahlreichen Fänge von Portionsforellen mit offenen Bisswunden bezeugten. Und trotzdem freuten wir uns darüber und hüteten unser Erlebnis als kostbares Geheimnis, wohlwissend welch kapitaler Fisch sich in den Gefilden unseres befischten Etschabschnittes aufhielt.

Sie wurde übrigens nie gefangen, die Kannibalin.

Text: FishFirst