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Vagabunden - Fische auf Wanderschaft

Europäischer Aal aus dem Montiggler See

Alle Fische “wandern”! Zugegeben, bei Weitem nicht alle Flossenträger überwinden bei ihren Wanderungen Ozeane, wie es beispielsweise Aal oder Lachs imstande sind. Bei vielen Arten beschränken sich die Standortwechsel auf vergleichsweise kurze Strecken. Fische nutzen im Laufe ihres Lebens oftmals unterschiedliche Gewässerbereiche oder suchen periodisch bei der Nahrungssuche oder zur Überdauerung von ungünstigen Lebensbedingungen in ihrem angestammten Wohnareal angrenzende Gebiete auf. Von diesen Wanderungen, den spektakulären, tausende Kilometer überwindenden Reisen aber auch von den unscheinbaren, kleinräumigen Standortwechseln handelt dieser Bericht.

Marathonschwimmer:

Manche Fischarten stehen in besonderem Maße im Rampenlicht der Wissenschaft und ziehen die Aufmerksamkeit von Generationen von Biologen auf sich. Oft steht ein ausgeprägtes Wanderverhalten im Zentrum eines spektakulären Lebensstils, der die Neugier des Menschen besonders auf sich zieht. Hinter vielen Wanderungen im Reich der Fische steht das zentrale Thema der Fortpflanzung. Viele Arten, darunter als prominente Vertreter die meisten Lachse, vollziehen im Laufe ihres Lebens ausgedehnte Wanderungen zwischen Süßwasser und dem Meer. Das Leben eines Lachses beginnt in Schotterbänken kleinerer Fließgewässer, typischerweise in jenem Gewässer, wo bereits die Eltern das Licht der Welt erblickten. Dort, eingegraben im Kieslückensystem des Geburtsgewässers, entwickelt sich bei kalten Wassertemperaturen das Lachsei, ehe aus diesem nach Monaten die Dottersacklarve schlüpft. Die Larve verbringt noch geraume Zeit im Flussgrund, ehe die Brütlinge aus dem Sediment hervortreten und den Fluss besiedeln. Die Jungfische verbleiben noch eine Weile im Fließgewässer, ehe sie sich ab dem 2. Lebensjahr auf ihre Reise in Richtung Meer aufmachen. Dort leben sie teilweise küstennah, teilweise aber auch im offenen Ozean und dann weit entfernt von ihren Heimgewässern. Nach ein oder mehreren Jahren im Salzwasser machen sich die Lachse dann wieder auf den Weg zu ihrem Heimgewässer, um abzulaichen. In der Regel suchen sie dabei genau jenes Fließgewässer für die Fortpflanzung auf, in welchem sie selbst einst aus dem Ei geschlüpft waren.

Die Wanderung des Europäischen Aal ist gegengesetzt zu jener der Lachse. Die Fortpflanzung erfolgt im Salzwasser, genauer gesagt in der so genannten Sargassosee, einem Meergebiet zwischen Bermuda und den karibischen Inseln im Nordwestatlantik. In diesem Meeresgebiet, vermutlich in mehreren Hundert Meter Tiefe laichen die Aale ab, bevor ihr von den Strapazen der viele tausend Kilometer gezeichnetes Leben endet. Aus den befruchteten Eiern schlüpfen nach kurzer Entwicklungszeit die Larven, welche sich getragen von Meeresströmungen wieder in Richtung der Küsten- und Binnengewässer Nordafrikas und Europas aufmachen. Mehrere Jahre benötigen die durchsichtigen Winzlinge für die Überquerung des offenen Ozeans, ehe sie die Küstengewässer erreichen. Während ein Teil der Population in den Brackwassergewässer im Bereich von Flussmündungen verbleiben, dringen andere Tiere über die Flüsse bis tief in den Europäischen Kontinent vor. Dort verbingen sie dann ihr Leben in Flüssen und Seen, ehe sie sich nach etwa 10 bis 50 (!) Jahren wieder auf den Weg in ihr Laichgewässer am anderen Ende des Atlantik machen.

Auch die wohl berühmeste Fischart des Landes, die Marmorierte Forelle, vollzieht zur Laichzeit mitunter ausgedehnte Wanderungen. Obgleich bis heute kaum erforscht, legen vielzählige Beobachtungen die Vermutung nahe, dass diese Forellenart zumindest Wanderungen bis zu hundert Kilometern absolvieren kann, wenn es darum geht geeignete Gewässer für die Fortpflanzung zu erreichen. So steigen zur Laichzeit um Mitte November die Marmorierten Forellen vom Hauptgewässer Etsch in den Eisack und in andere Zuflüsse auf, um in lockeren Kiesflächen die Eier abzugeben.

Selbiges gilt beispielsweise auch für die Seeforelle, welche die meiste Zeit ihres Lebens im Freiwasser großer Alpenseen verbringt. Nur zur Fortpflanzungszeit im Spätherbst ziehen die laichbereiten Fische die Zuflüsse empor, um über geeigneten Kiesflächen abzulaichen. Dabei können mitunter erstaunliche Wanderstrecken von bis zu 100 Kilometern überwunden werden. Dies gilt beispielsweise für die Seeforellen des Bodensees, welche auch den Oberlauf des Rheins als Laichgebiet nutzen und zum Erreichen geeigneter Gewässerabschnitte teilweise sehr lange Wanderungen in Angriff nehmen.

Europäischer Aal aus dem Montiggler See
Europäischer Aal aus dem Montiggler See
Seeforelle aus dem Walburger Stausee
Seeforelle aus dem Walburger Stausee
Marmorierte Forelle aus der Etsch
Marmorierte Forelle aus der Etsch

Kurzstreckenwanderer:

Dem gegenüber sind die Wanderstrecken vieler anderer Flussfische vergleichsweise kurz. Die heimischen Äschen ziehen zur Fortpflanzungszeit ebenfalls stromaufwärts, um geeignete Kiesflächen im Fluss zu erreichen. Allerdings sind die zurückgelegten Wanderstrecken im Vergleich zu jenen der oben beschriebenen Langstreckenwanderer vergleichsweise kurz und erstrecken sich zumeist nur über wenige Kilometer.

Unter den Flussfischarten Südtirols suchen nicht nur die Salmoniden zur Laichzeit besondere Gewässerabschnitte auf. Auch Barben und Aiteln steigen zur Laichzeit im Frühsommer in kleinere Zuflüsse von Etsch und Eisack ein, um abzulaichen. So nutzen beispielsweise Barben kiesige Abschnitte kleinerer Zuflüsse der Etsch zwischen Meran und Salurn und des Eisack Unterlaufs, um ihre Eier abzugeben. Dies ist immer wieder ein ganz besonderes Schauspiel, wenn dort dann um Mitte die Barben in Gruppen über flachem Wasser laut plautschend ihre Eier in den Kiesgrund entlassen.

Schließlich suchen erwachsene Neunaugen zur Laichzeit im Frühjahr kiesige Flussstrecken auf, um dort in Gruppen ihre Eier abzugeben. Auch hierfür werden kürzere Wanderstrecken in Kauf genommen.

Barbe aus der Etsch
Barbe aus der Etsch
Barben in einem Zubringer der Etsch zur Laichzeit
Barben in einem Zubringer der Etsch zur Laichzeit
Äsche
Äsche

Auf Nahrungssuche:

Fische wandern aber nicht nur der Liebe wegen. So werden beispielsweise auch zur Nahrungssuche andere Gewässerstrecken aufgesucht. Da sich das Nahrungsangebot im Lebensraum Wasser jahreszeitlich dauernd ändert, müssen sich Fische darauf einstellen. Die Fischarten der großen Stillgewässer wechseln saisonsbedingt zwischen Boden- und Freiwassernahrung. Während zur Zeit von Masservorkommen von bodenlebenden Insektenlarven, wie jene der Zückmücken, oft unweit der Ufer bodennah nach Nahrung gesucht wird, ziehen die Schwärme von Kleintierfressern, wie Renken und Barsche, bei Rückgang dieser Nahrungsressource und hohem Angebot von Plankton im Freiwasser fernab der Ufer umher. Die großen Raubfische verfolgen sie dabei in Richtung Seemitte, sodass auch sie indirekt zu Wanderungen gezwungen werden. Auch Flussfische wechseln der Nahrung wegen zwischen verschiedenen Bereichen der Fließgewässer. Vor allem bei saisonal üppigem Angebot bestimmter Nährtiergruppen, im Fließgewässer zum Beispiel von Eintags-, Köcher- und Steinfliegenlarven, werden gerade jene Gewässerabschnitte aufgesucht, wo der Tisch besonders reich gedeckt ist und daher die Nahrungssuche möglichst einfach und energiesparend erfolgen kann.

Großer Montiggler See
Großer Montiggler See
Lago di Caldonazzo
Lago di Caldonazzo
Lough Nafooey an der Irischen Westküste
Lough Nafooey an der Irischen Westküste

Standortwechsel im Wandel der Jahreszeiten:

Daneben sind auch der Wechsel der Jahreszeiten und damit verbunden die schwankende Wassertemperatur Auslöser für Wanderungen im Gewässersystem. Viele Fischarten, so beispielsweise die Forellen, suchen in den kalten Wintermonaten oft die tiefsten Flussstellen auf. Flach überronnene, schnell strömende Fließgewässerstrecken scheinen in der kalten Jahreszeit oft gänzlich verlassen zu sein. Erst mit Anbeginn der warmen Jahreszeit kommt dann wieder zunehmend Leben in diese flachen Bachstrecken. Das Rückziehen auf “Winterlager”, zumeist sind dies tiefe und strömungsberuhigte Gewässerabschnitte, ist auch für viele anderen Fischarten bekannt. Auch viele Karpfenfische, wie Barben und Aiteln, suchen im Winter tiefe Flussstrecken ab, um in Grundnähe die kalte Jahreszeit zu überdauern.

Etsch bei Pfatten - Marmorata Gebiet
Etsch bei Pfatten - Marmorata Gebiet
Völlig naurbelassenes Fließgewässer im Westen Irlands
Völlig naurbelassenes Fließgewässer im Westen Irlands
Prallufer an der Rienz bei Vintl
Prallufer an der Rienz bei Vintl

Flucht vor der Flut:

Schließlich spielen Wanderungen auch zur Überbrückung von lebensfeindlichen Bedingungen eine große Rolle. Im Falle von Hochwässer nutzen Flussfische Nebengewässer, wie Zuflüsse oder Altwasser als Rückzugsgebiete, um dort in geschützten Bereichen dem reißenden Flusswasser zu entkommen.

Aus den oben gezeigten Beispielen wird deutlich, dass Wanderungen, egal ob kurz oder lang und unabhängig davon ob diese zur Fortpflanzung, zum Nahrungserwerb oder zur Überdauerung ungünstiger Lebensbedingungen unternommen werden, für Fische überlebenswichtig sind. Diesem Umstand wurde in der Vergangenheit nur allzu oft keineswegs Rechnung getragen. Die Flüsse wurden durch unüberwindbare Querbauwerke, Betonsperren, Wehre und Staumauern, in kurze, nicht mehr zusammenhängende Segmente zerstückelt. Zudem wurden Zuflüsse vom Hauptgewässer durch hohe Betonabstürze abgeschnitten. Eine effiziente Fischwanderung ist in derartigen Gewässern nicht möglich. Besonders für jene Fischarten, welche zur Forpflanzungszeit auf Kiesflächen von Zuflüssen angewiesen sind, war diese Entwicklung besonders schädigend.

Mittlerweile hat man die Fehler der Vergangenheit erkannt und arbeitet auch in Südtirol an der umfangreichen Wiederherstellung der Passierbarkeit der Fließgewässer. Vom Tal in Richtung Berg werden einst unüberwindbare Abstürze derart umgestaltet, dass diese für Fische wieder durchschwimmbar werden. Diese angewandten Projekte zum Fischartenschutz, welche hierzulande in erster Linie von der Agentur für Bevölkerungsschutz vorangetrieben werden, zeigen große Erfolge. Traditionelle Laichgebiete werden mittlerweile wieder von Flussfischen genutzt und Zubringer werden wieder als Kinderstuben und Rückzugsareale genutzt.

Diesen sehr lobenswerten Initiativen liegt letztlich auch die feste Überzeugung zugrunde, dass die Wiederherstellung des Lebensraumes immer Priorität gegenüber Besatzmaßnahmen haben muss, wenn wir unsere Wildfischbestände dauerhaft erhalten wollen.

Text: FishFirst